ArtikelDie Swahili-Fibel
VerfasserHelmut Richter
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Kapitel1. Plausch über und auch auf Swahili
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enthältFortsetzung des Kapitels

Auch in Swahili werden Verben konjugiert, aber ganz anders

Eine besondere Eigenschaft der Grammatik von Swahili ist es, dass sehr viel Information in die Verbformen hineingepackt werden kann. Nehmen wir etwa den Satz Asiyekujua hakuthamini (Wer dich nicht kennt, schätzt dich nicht): was in Swahili zwei Wörter sind, sind im Deutschen sieben. Nicht nur Person des Subjekts und die Zeit wie bei kennt oder schätzt sind in der Verbform kodiert, sondern auch die Person des Objekts (dich), die Eigenschaft, zu einem Relativsatz zu gehören (wer) sowie die Verneinung (nicht). Das klingt zunächst unheimlich kompliziert, ist aber sehr einfach, weil es absolut regelmäßig und systematisch ist. Im nächsten Kapitel werden die beiden Wörter dieses Beispielsatzes analysiert.

Wenn wir in der deutschen Sprache – und in der französichen oder lateinischen ist es nicht viel anders – ein Verb in verschiedenen Zeiten konjugieren, dann müssen wir uns alle Kombinationen von Zeiten und Personen gesondert einprägen: zum Beispiel können wir aus dem Unterschied der Formen zwischen ich lese und er liest überhaupt nicht auf die Vergangenheit ich las und er las schließen. Man spricht hier von Flexion (=Beugung): jede Wortform spiegelt gleichzeitig verschiedene grammatikalische Eigenschaften wie Zeit und Person wieder und diese bringen Veränderungen auch am Wortstamm hervor, die oft unregelmäßig sind. Swahili ist da viel einfacher: die verschiedenen Eigenschaften werden unabhängig voneinander als Silben am unveränderten Wortstamm angebracht. Solche Sprachen heißen agglutinierend (=aneinanderleimend); sie haben typischerweise im Gegensatz zu flektierenden keine oder nur ganz wenige unregelmäßige Verben. Eine geografisch näher liegende Sprache mit agglutinierend gebildeten Verbformen ist das Türkische.

Im zweiten Kapitel werden wir uns eingehend mit der Bildung aller dieser Verbformen beschäftigen. Damit man dieses Kapitel später zum Nachschlagen verwenden kann, werden die verschiedenen Verbformen alle gleichzeitig eingeführt. Dadurch wird dann der Stoff dieses Kapitels sehr umfangreich sein; zum Trost darf man aber wissen, dass man danach ungefähr die Hälfte des gesamten Stoffs hat.

Und es gibt Geschlechter, aber auch ganz anders

Im Deutschen gibt es drei grammatikalische Geschlechter: männlich, weiblich, sächlich. Wenn das Wort eine geschlechts­spezifische Bedeutung hat, stimmt das grammatikalische Geschlecht meist mit dem biologischen überein (der Mann, die Frau), manchmal auch nicht (der Weisel, die Drohne, das Weib); bei generischen Wörtern (der Mensch, die Person, das Individuum) kann es das natürlich nicht und für Sachen erscheint es endgültig vollends willkürlich (der Löffel, die Gabel, das Messer). Für die grammatikalische Bedeutung ist das biologische Geschlecht also schon im Deutschen im Wesentlichen egal – erst recht in Swahili, wo es zwar auch grammatikalische Geschlechter gibt, die aber mit den biologischen überhaupt nichts zu tun haben: Mann (mwanamume) und Frau (mwanamke) sind im gleichen grammatikalischen Geschlecht vereint, in einem anderen finden sich Herr (bwana) und Dame (bibi), während Vater (baba) und Mutter (mama) in wiederum einem anderen sind.

Schauen wir also nicht auf die Biologie, sondern auf die Grammatik, und zwar erst einmal auf die deutsche. Dass ein Substantiv einem bestimmten Geschlecht angehört, zeigt sich daran, dass Adjektive, Pronomen und Artikel, die sich darauf beziehen, eine bestimmte Form annehmen, die vom Geschlecht des Worts abhängen. Denselben Effekt auf die Form anderer Wörter haben auch Singular und Plural des Substantivs; allerdings spielt das Geschlecht im Plural keine Rolle mehr. Man kann also sagen, dass die deutschen Substantive, was ihren Einfluss auf die Form anderer Wörter angeht, in vier Klassen eingeteilt werden können: männlich Singular, weiblich Singular, sächlich Singular sowie Plural.

Das, was im Deutschen den Umgang mit diesen Klassen so schwierig macht, gibt es zum großen Teil in Swahili nicht. Es gibt keine Fälle, auch keine Artikel; allerdings richten sich Verbformen nach der Klasse des Subjekts und oft auch des Objekts. Alle Formen werden aber mit nur ganz wenigen Ausnahmen völlig regelmäßig gebildet, so dass der Gesamtaufwand zum Lernen nicht allzu groß ist. Es gibt auch ein paar mehr Klassen als im Deutschen, nämlich 16, wenn man so pingelig zählt wie in der Tabelle im dritten Kapitel, wo der Umgang mit den Klassen, also den grammatikalischen Geschlechtern, ausführlich erklärt wird.

Übrigens spielt auch unabhängig vom grammatikalischen Geschlecht das biologische in Swahili eine viel geringere Rolle – die ganze Diskussion über geschlechtsneutrale oder -gerechte Sprache kann man sich sparen. Ein mwalimu (Lehrer), ein ndugu (Geschwister), ein kijana (Jugendlicher) oder ein msomaji (Leser) kann natürlich beliebigen Geschlechts sein, und es gibt in der Sprache überhaupt keinen Grund, da zwischen den Geschlechtern zu differenzieren. Wenn man irgendeine Person unabhängig von ihrem Geschlecht meint, ist das sehr häufige Wort mtu angebracht, das man im Deutschen am einfachsten mit „jemand“ wiedergibt (niemand würde statt „es kommt jemand“ etwa sagen „eine Person kommt“ oder „ein Mensch kommt“). Man darf aber nie vergessen, dass mtu, anders als das deutsche „jemand“, ein ganz normales Substantiv ist. Die Mehrzahl watu (Leute, Menschen) ist übrigens eng verwandt mit Bantu, der Bezeichnung für die ganze Sprachfamilie, der Swahili angehört: das gibt es ja auf der ganzen Welt, dass man das Wort „Menschen“ auf die Leute anwendet, deren Sprache man versteht.